»DANIEL STEIN«: EIN GESPRÄCH MIT DRAMATURGIN HEIKE MÜLLER-MERTEN
Der Roman »Daniel Stein« ist die Geschichte des polnischen Juden Oswald Rufeisen, die von der russischen Schriftstellerin Ljudmila Ulitzkaja zu einer Art »Doku- fiction« verarbeitet wurde, also einer Mischung aus biographischen Daten und fiktionalen Hinzudichtungen. 2009 fiel dieser Roman der Dramaturgin Heike Müller-Merten in die Hände und als dann das Theater-Freiburg-Spielzeitmotto »Glaube und Religion« feststand, bot sich dieser Stoff als inhaltlicher Kontrapunkt zur Adaption des indischen Romans »Gottes kleiner Krieger« an. »Gottes kleiner Krieger ist ein Roman, in dem religiöse Zuwendung sich in ihrer Überspitzung von ihrem Urgrund ablöst, sich fundamentalistisch ausprägt und radikalisiert. In ›Daniel Stein‹ hingegen versucht ein Mensch die kulturelle, religiösen und politischen Gräben eines Jahrhunderts zu überbrücken«, erklärt Heike Müller-Merten die Polarität der beiden Geschichten.
Insgesamt hat die Dramaturgin den Roman ein Jahr lang bearbeitet. Sie musste sich für bestimmte Figuren und Motive entscheiden, um aus den über 500 Seiten das Material für einen überschaubaren Theaterabend auszuwählen. Tut es nicht weh, aus einem guten Buch so viel auslassen zu müssen? »Total!«, stimmt mir Heike Müller-Merten sofort zu. »Aber es ist auch schön auf den Proben zu sehen, dass Theater wieder etwas ganz eigenes dazutut, weil es einfach mit anderen Mitteln arbeitet. Und mit dem Regisseur und den Schauspielern entwickelt sich der Text natürlich weiter, wird dramatischer.«
Der Roman selbst ist ein Kaleidoskop aus Begegnungen mit und Reflexionen über Daniel Stein- von Menschen, deren Lebensweg den seinen geschnitten haben . Oswald Rufeisen musste als Jugendlicher während des Dritten Reichs vor den Truppen der Deutschen bis nach Weissussland fliehen, wo er nur überlebte, indem er seine jüdische Herkunft verleugnete. Entgegen seinen Willen musste er für die Deutsche Gendarmerie in den besetzten Gebieten arbeiten. Er wurde enttarnt, konnte fliehen und trat schließlich zum Christentum über, wurde Karmelitermönch und setzte es sich zum Ziel, eine Kirche in Israel zu errichten.
Eine Geschichte mit vielen Zeitebenen, wir kann man so etwas auf die Bühne bringen?
Im Mittelpunkt der Inszenierung wird die Wiedererrichtung der christlichen Urkirche stehen- eine Utopie. Das Personal, das mit Daniel Stein dieses Ziel verfolgt, sind: eine junge Deutsche, die die Schuld ihrer Väter begleichen will, ein christlicher Araber, ein ehemaliger russisch- jüdischer Lagerhäftling, eine fanatische Kommunistin und ihre ungeliebte Tochter und viele andere. »Von über vierzig Charakteren im Buch musste ich auf etwa zwanzig Personen herunterkürzen, die dann von acht verschiedenen Schauspielern gespielt werden«, erklärt die Dramaturgin. Die Zeitebene des Kirchenbaus zwischen 1960 und 1995 bildet also den Dreh- und Angelpunkt des Stücks: Von hier aus wird die Vergangenheit erinnert und wieder lebendig, von hier können auf die fast sechzig Jahre zurückgeblickt werden, die Inhalt des Romans sind. »Und«, fügt Heike Müller-Merten noch hinzu: »Am Ende steht bei Ulitzkaja ein Attentat. Daniel Steins Geschichte ist also auch ein Polit- Krimi.«
Am 7. Juni wird die Autorin Ljudmila Ulitzkaja selbst zu Gast sein und nach der Aufführung für ein Publikumsgespräch zur Verfügung stehen. Ein bisschen aufgeregt ist Heike Müller-Merten da schon irgendwie: »Ich habe sehr viel Respekt vor ihr und hoffe natürlich, dass ihr unsere Aufführung gefällt...«