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Thomas Krupa inszeniert „Daniel Stein“ nach Ljudmila Ulitzkaja

Der christliche Jude: Daniel Stein, der in Wirklichkeit Oswald Rufeisen hieß, kollaborierte im Krieg mit den Deutschen und verhalf 300 Juden aus dem Ghetto zur Flucht; er konvertierte zum Katholizismus und gründete in den 1960er-Jahren ausgerechnet (und für ihn folgerichtig) in Israel so etwas wie eine neue urchristliche Gemeinde.

Theater Freiburg: Daniel Stein Foto: Korbel Maurice

Was für ein Leben! Aus diesem biographischen Stoff hätte ein Dramatiker mühelos mehrere Figuren schneidern können. Doch das Faszinierende an Daniel Stein – wie er im Roman von Ljudmila Ulitzkaja heißt – besteht darin, dass sich in seinem Schicksal und seiner Existenz die Verwerfungen eines ganzen Jahrhunderts bündeln und bei ihm einen ungewöhnlichen, einzigartigen Verlauf nehmen: Der polnische Jude Daniel Stein, der in Wirklichkeit Oswald Rufeisen hieß, kollaborierte im Krieg mit den Deutschen und verhalf 300 Juden aus dem Ghetto zur Flucht; er konvertierte zum Katholizismus und gründete in den 1960er-Jahren ausgerechnet (und für ihn folgerichtig) in Israel so etwas wie eine neue urchristliche Gemeinde.

Gründe genug, den Protagonisten des 2005 erschienenen Prosawerks der russisch-jüdischen Autorin, einen durch den Holocaust gegangenen Nathan den Weisen, in den Mittelpunkt des Freiburger Theaterschwerpunkts "Panik und Religion" zu stellen. Mit Panik lässt sich die Fleisch gewordene Güte des Daniel Stein nicht in Verbindung bringen; davon wird in der morgigen Inszenierung von Kiran Nagarkars Roman "Gottes kleiner Krieger" die Rede sein. Mit Religion dafür umso mehr. Einer Religion, die das Gemeinsame in den monotheistischen Bekenntnissen sucht. Ein Jude, der Christ wird und dabei Jude bleibt: Ist das nicht ein Widerspruch in sich? Für den Staat Israel war es so: Er verwehrte Daniel Stein die Einbürgerung.

Doch über solche Widrigkeiten schaut Victor Caleros fast überirdisch gelassener Priester in Thomas Krupas Inszenierung im Kleinen Haus milde hinweg. Von seiner Mission lässt er sich davon so wenig aufhalten wie von den sich nach dem Sieben-Tage-Krieg immer weiter zuspitzenden politisch-religiösen Konflikten im "Heiligen Land". Dieser Mann hat in und nach der Katastrophe, dem Genozid an sechs Millionen Juden, seinen Ort gefunden: genau zwischen den Stühlen. Fast unvorstellbar, dass es solche Menschen wie den Karmeliterpater Oswald Rufeisen tatsächlich gegeben hat.

Für eine theatrale Situation, die von Konflikten lebt, eignet sich eine solch singuläre Erscheinung eher weniger. Glaubensbekenntnisse bekommen auf der Bühne schnell etwas Peinliches. Dieser Gefahr ist Thomas Krupa weitgehend entkommen. Dass seine von Calero mit fast schon unheimlicher Überzeugungskraft ausgestattete Lichtgestalt gelegentlich ins Predigen fällt, ist kaum vermeidbar. Zu beseelt ist dieser Gottesmann von seiner Umkehr, die er selbst keineswegs als solche empfindet: Er ist kein Saulus, der zum Paulus wurde. In höchster Not – auf der Flucht vor den Deutschen und im Angesicht der tief empfundenen Schuld, überlebt zu haben – hatte er Zuflucht in einem Kloster gefunden und sich taufen lassen. Im gekreuzigten und auferstandenen Christus fand er die Antwort Gottes auf das unermessliche Leiden seines Volkes.

Ein Haus für eine Utopie

Das alles will erzählt sein. Die Dramaturgin Heike Müller-Mertens hat sich mit Sorgfalt der Mühe unterzogen, aus Ulitzkajas vielschichtig collagiertem Roman, einer Art Spurensuche, einen spielbaren Bühnentext zu machen. Die Bühnen- und Kostümbildnerinnen Jana Findeklee und Joki Tewes haben ins Kleine Haus einen breiten Sperrholzsteg gelegt, der vieles sein kann. Tisch vor allem, aber auch Abendmahlstafel für die von Stein in Haifa gegründete Gemeinde der "Elias-Kirche an der Quelle", die an der Rückwand wie ein Scherenschnitt in ihren Umrissen sichtbar gemacht ist. Im Lauf des dreieinhalbstündigen Abends kommt die an Seilen hochgezogene Vorderfront dazu: ein Haus für eine Utopie, die kurz darauf buchstäblich in sich zusammenfällt: Der auf religiösen Hass gebürsteten Umgebung ist Steins religionsverbindendes Friedenswerk ein Dorn im Auge – wie der Kurie von Rom, die in einer Papst Johannes Paul II-Karikatur einen peinlich missglückten Auftritt hat: In Wahrheit hat Karol Woytila seinem Landsmann 1984 eine persönliche Audienz gewährt. Mag sein, dass dieses Treffen das Oberhaupt der Katholiken in der Annäherung Roms an Israel bestärkt hat, die in der Entschuldigung des Papstes bei den Opfern des Holocausts ihren Höhepunkt fand.

Das um Calero versammelte Ensemble, mehr oder weniger dazu da, Steigbügelhalter seiner Geschichte zu sein, erfüllt die Aufgabe mit aufopferungsbereiter Bravour. Stephanie Schönfeld ist eine auch kostümtechnisch (in gehäkelten Leibchen und anderen Scheußlichkeiten) sehr tapfere Hilda – Pastoralreferentin aus Münster, die ihre Lebensaufgabe in Steins Gemeinde findet und sich unglücklich-glücklich in den Araber Mussa (Bozidar Kocevski) verliebt. Konrad Singer kann selbst ein Vollbart nicht entstellen: Seine Verzweiflung über den abtrünnigen Bruder ist nachvollziehbar. Der zarte Frank Albrecht macht sich einmal mehr in einer Doppelfrauenrolle verdient: Er ist vor allem die ehemals verbissene Kommunistin Rita Kowacz, die von Stein ebenso gerettet wurde wie ihre Tochter Ewa Manukjan, die Iris Melamed mit der Bitterkeit eines ungeliebten Kindes ausstattet.

Die Inszenierung arbeitet mit Rückblenden und schreitet zugleich die Entwicklung in Israel von den 1960er bis in die 1990er Jahre hinein ab. Das ist ein gewaltiger politischer (Zünd-)Stoff, an dessen Ende die Radikalisierung der jüdischen Siedler gestreift wird. Und das ist zu viel für einen Bühnenabend, dem man mit großem Respekt, aber nicht mit allzu großer Spannung begegnet. Dazu ist sein Verlauf zu erwartbar. Warum kann es nicht mehr Daniel Steins geben? Mit dieser Frage immerhin entlässt das Bemühen um diese außerordentliche Persönlichkeit das überaus angetane Premierenpublikum in die Nacht.